Nachhaltigkeit ist das Wort der Stunde – und dies gilt auch für Kohlenhydrate. Kohlenhydrate sind eine der Hauptenergiequellen unseres Körpers und sollten nicht zu Unrecht gemieden werden. Der Schlüssel ist, die richtigen Kohlenhydrate zu finden, anstatt sie kategorisch auszuschließen. Doch welche sind die „guten“, und welche die „schlechten“ Kohlenhydrate? Oder sollten wir besser sagen „schnelle“ und „langsame“? Worin sind diese enthalten, und kommt es nicht einfach auf den richtigen Umgang mit Kohlenhydraten und deren Menge generell an?
Hier entlang zu den Fakten auf einen Blick!
Man unterscheidet die Kohlenhydrate zunächst anhand ihres kleinsten molekularen Aufbaus, welcher mit freiem Auge nicht erkennbar ist. Auf vielen Lebensmitteletiketten wird meist lediglich die absolute Kohlenhydratmenge angeben, anstatt den genauen Anteil von einfachen und komplexen „Carbs“ zu entschlüsseln. Wie in unserem letzten Artikel bereits beschrieben, entsprechen einfache Kohlenhydrate einzelnen, kleinsten Zuckermolekülen, die sofort in die Blutbahn aufgenommen und zur Energiegewinnung und -speicherung genutzt werden können. Einfache Kohlenhydrate sind schlichtweg Zucker. Sie werden deshalb auch als die „Schlechten“ bezeichnet, da sie durch den schnellen Übertritt ins Blut einen rasanten Blutzuckeranstieg sowie eine hohe Insulinausschüttung zur Folge haben. Das hohe Insulin senkt den Blutzuckerspiegel rasch ab, löst schneller Hunger aus und führt zu immer häufigerem Verlangen nach Essen. Einfache Kohlenhydrate sind in allen zuckerhaltigen Süßgetränken, Süßgebäck, Fruchtsaftkonzentraten, Cerealien, Weißbrot etc. enthalten.
Vom molekularen Aufbau her bestehen komplexe Kohlenhydrate aus mindestens drei Einfachzucker-Bausteinen. Nach Anzahl von Bausteinen werden sie in Oligo- und Polysaccharide eingeteilt. Sie müssen bei der Verdauung erst in einfache Zuckermoleküle aufgespalten werden, wodurch der Zucker viel langsamer und gleichmäßiger ins Blut übergehen kann. Komplexe Kohlenhydrate sättigen dadurch länger und verursachen keine extremen Insulinspitzen oder schnell wiederkehrenden Hunger nach dem Essen. Für einfache sowie für komplexe Kohlenhydrate gilt jedoch, dass – wenn sie durch körperliche Aktivität nicht verbrannt werden – in Leber, Muskulatur und Fettgewebe gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Stoffwechsel eingeschleust werden. Kohlenhydrate aus einer Scheibe Weißbrot werden letztendlich also gleich verarbeitet, wie Kohlenhydrate aus einer Scheibe Vollkornbrot. Den grundlegenden Unterschied machen jedoch die wichtigen Begleitstoffe wie Vitamine, Mineral- und vor allem Ballaststoffe, die in Quellen komplexer Kohlenhydrate enthalten sind. Vollkorngetreideprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte und Gemüse liefern neben Kohlenhydraten in Form von Stärke und Ballaststoffen nämlich auch zahlreiche Vitamine, Kalzium, Eisen, Magnesium, Phosphor, Kalium, Zink etc. Der Ballaststoff- und Stärkegehalt ist außerdem ausschlaggebend dafür, dass Vollkorngebäck viel nachhaltiger satt macht als „leeres“, ballaststoffloses Weißbrot. Kohlenhydrate in Form von Ballaststoffen und Stärke finden sich nicht nur in Vollkornbrot oder -Pasta, sondern in unterschiedlichen Mengen auch in Milchprodukten, Früchten, Gemüse, Getreide wie Quinoa und Buchweizen, Nüssen und Bohnen.
Mit Hilfe des Glykämischen Index (GI, in%) werden die Kohlenhydrate nach Ihrer Blutzuckerwirksamkeit eingeteilt. Dieser Index dient als Maß dafür, wie stark der Blutzuckerspiegel nach dem Verzehr eines kohlenhydrathaltigen Nahrungsmittels erhöht wird. Demnach lösen Nahrungsmittel mit niedrigem Glykämischen Index (unter 55) einen langsamen, bis 69 einen mittleren und ab 70 einen schnellen Anstieg des Blutzuckers aus. Als Vergleichswert gilt jeweils der Wert von 50g Glukose (Traubenzucker), der Substanz, die den Blutzuckerspiegel am stärksten ansteigen lässt. Sein GI-Wert wurde auf 100% festgelegt. Der GI eines einzelnen Lebensmittels – zum Beispiel Brot – kann gemessen, der GI einer gemischten Mahlzeit muss dagegen berechnet werden. Die Berechnung des GI einer Mahlzeit entspricht der Fähigkeit der in der Mahlzeit enthaltenen Kohlenhydrate, den Blutzucker Gramm für Gramm zu erhöhen. Aber auch die anderen Bestandteile der Mahlzeit (Kohlenhydrat-, Protein- und Fettmenge) beeinflussen die glykämische Reaktion unabhängig voneinander. Die Zugabe von Protein oder Fett zum Brot verringert den GI des Brotes nicht, sondern reduziert die glykämische Reaktion, die durch das Brot allein hervorgerufen werden würde. 1 Gramm Molkenprotein pro 50 Gramm Kohlenhydrat senkt den Blutzuckeranstieg bereits um 1,4%. Butter am Brot beispielsweise löst eine weit höhere glykämische Reaktion aus, als gleiche Fettmengen aus pflanzlichen Quellen (Distelöl, Margarine).
Eine Weiterentwicklung des glykämischen Index ist die glykämische Last. Sie ist alltagstauglicher und bezieht die tatsächlich konsumierte Kohlenhydratmenge eines Lebensmittels beziehungsweise einer Lebensmittelportion mit ein. Ein Beispiel: 50g Wassermelone und 50g Baguette haben den gleichen Glykämischen Index von 75. Eine Portion Wassermelone enthält jedoch nur 8 Gramm Kohlenhydrate, wohingegen das Baguette mit 25 Gramm zu Buche schlägt. Durch die Berechnung der glykämischen Last wird diese Täuschung aufgedeckt. Denn Ananas, Wassermelonen oder Papaya haben einen vergleichsweise hohen glykämischen Index und müssten somit als ähnlich ungesund wie Weißbrot eingestuft werden. Um jedoch die der GI-Berechnung zugrundeliegenden 50 Gramm an Kohlenhydraten aufzunehmen, müsste man kiloweise Wassermelonen oder Ananas verspeisen – auch kein Vergnügen.
In einigen Studien, darunter die des Weizmann Instituts, wurde festgestellt, dass die glykämische Reaktion nicht nur vom jeweiligen Nahrungsmittel abhängt, sondern auch von der Person, dies es zu sich nimmt. Denn die Probanden reagierten recht unterschiedlich, bei ungefähr der Hälfte stieg der Blutzucker weniger rasant an, wenn sie Weißbrot gegessen hatten, bei der anderen Hälfte war genau das Gegenteil der Fall. Die unterschiedlichen körperlichen Reaktionen dürften ihre Ursache im Darm bzw. in den dort lebenden Bakterien haben – denn Menschen mit ähnlichem Mikrobiom hatten auch ähnlich auf das jeweilige Brot reagiert. Die Forscher vermuten, dass sich das nicht nur bei Brot so verhält. Verschiedene Menschen reagieren einfach verschieden, sogar auf das identische Essen. In Zukunft könnte eine Analyse der Darmbakterien eventuell eine optimale Ernährungsempfehlung möglich machen.
Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sollte der glykämische Index oder Kohlenhydratgehalt nicht die alleinige Grundlage für eine Diät oder Ernährungsweise darstellen, da auch viele andere Faktoren den Blutzuckerspiegel beeinflussen. So muss man auch berücksichtigen, wie viel Fett und Eiweiß ein Lebensmittel enthält, und dass der GI für einzelne Lebensmittel nicht identisch ist mit dem GI einer Nahrungsmittelkombination. Kartoffeln alleine haben einen hohen GI. Kartoffeln in Kombination mit Gemüse, Milch oder Fleisch dagegen weisen einen niedrigeren GI auf. Auch schwankt der GI einzelner Lebensmittel: Obst enthält je nach Reifegrad mehr oder weniger Zucker. Damit variiert der GI und mit ihm der Blutzuckerspiegel. Wer sich dessen bewusst ist, wird Kohlenhydrate dann auch nicht mehr in „gut“ oder „schlecht“, sondern vielmehr in „schnell“ und „langsam“ einteilen. Natürlich lässt es sich nicht vollständig vermeiden, „schnelle“ Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Achtet man aber auf die Menge, die Lebensmittelkombination und den Zeitpunkt des Verzehrs, minimiert man genau jene Insulinspitzen, die für eine Gewichtszunahme mitverantwortlich sind.
Text-Quellen:
(1) Korem T.*, Zeevi D.*, Zmora N., Weissbrod O., Bar N., Lotan-Pompan M., Avnit-Sagi T., Kosower N., Malka G., Rein M., Suez J., Goldberg B.Z., Weinberger A., Levy A.A., Elinav E., Segal E. Bread affects clinical parameters and induces gut microbiome-associated personal glycemic responses. Cell Metabolism 25 (6), 1243-1253 (2017).
(2) Gunnerud UJ, Ostman EM, Bjorck IM. Effects of whey proteins on glycaemia and insulinaemia to an oral glucose load in healthy adults: a dose-response study. Eur J Clin Nutr 2013; 67: 749–53.
(3) Owen B, Wolever TMS. Effect of fat on glycaemic responses in normal subjects: a dose-response study. Nutr Res 2003; 23: 1341 – 7.
(4) Meng H, Matthan NR, Ausman LM, Lichtenstein AH. Effect of macronutrients and fiber on postprandial glycemic responses and meal glycemic index and glycemic load value determinations. Am J Clin Nutr 2017;105:842–53.
(5) Thomas MS Wolever, Effect of macronutrients on the glycemic index, The American Journal of Clinical Nutrition, Volume 106, Issue 2, August 2017, Pages 704–705, https://doi-org.emedien.ub.uni-muenchen.de/10.3945/ajcn.117.158055
Bild-Quellen:
(6) https://unsplash.com/photos/Emhz3miT6mo