Die Rolle von Kohlenhydraten in unserer Ernährung wird stets heiß diskutiert und wirft viele Fragen auf. Sind sie gut? Sind sie schlecht? Wann ist eine Ernährung high-carb, wann low-carb, und welche Quellen liefern die „guten“ Kohlenhydrate? Funktionieren high-carb oder low-carb-Diäten bei jedem, oder gibt es bestimmte Voraussetzungen für deren Erfolg? Wir klären sie auf: die Mythen der Kohlenhydrate.
Du möchtest dir einen kleinen Überblick verschaffen? Hier findest du das Wichtigste auf einen Blick!
Kohlenhydrate kommen grob erklärt einzeln oder in Ketten aus Einfachzuckern (Monosacchariden) – zum Beispiel Glucose (Traubenzucker), Fructose (Fruchtzucker) oder Galactose – vor. Die Kombination verschiedener Einfachzucker zu Ketten bestimmt den Namen des Kohlenhydrats. Der herkömmliche Haushalts- oder Kristallzucker beispielsweise besteht aus einer Kette aus Glucose und Fructose. Eine lange Kette aus Glucose alleine bildet beim Menschen das Glykogen – die Zuckerspeicherform in Leber und Muskeln – und bei Pflanzen die Cellulose, welche weltweit das am häufigsten vorkommende Biomolekül ist. Je kürzer die Kohlenhydratkette, desto schneller kann sie im Darm durch spezielle Verdauungsenzyme (Amylasen, Glucosidasen und Isomaltasen) in ihre Einzelteile zerlegt werden. Denn nur kleine Einfachzucker können durch die Darmwand in die Blutbahn und weiter zu den Zielorganen gelangen. Kurze Zweifachzucker wie der Haushaltszucker führen deshalb zu so schnellem Blutzuckeranstieg, weil sie meist schon bevor sie überhaupt in den Dünndarm gelangen von Speichelenzymen zu Einfachzuckern zerlegt werden.
Auch die Verknüpfungen zwischen einzelnen Zuckerbausteinen bestimmen, ob der Körper Kohlenhydratketten aufspalten kann, oder unaufgespalten wieder ausscheiden muss. So kommt die Einteilung in verwertbare und nicht-verwertbare Kohlenhydrate (Ballaststoffe) zustande. Für Kohlenhydrate wie Cellulose, die sich nur durch die Verknüpfung zwischen den einzelnen Zuckerbausteinen von körpereigenem Glykogen oder pflanzlicher Stärke unterscheiden, fehlt dem Körper schlichtweg das Enzym, um die Kette in energieliefernde Einfachzucker aufzuspalten. Ballaststoffe sind so gesehen also kalorienfreie Kohlenhydrate. Je höher der Ballaststoffanteil einer kohlenhydratreichen Quelle, desto sättigender, darmschonender und „kohlenhydratärmer“ ist sie. Der Ballaststoffgehalt von Lebensmitteln ist sehr unterschiedlich, bereits 100g Weizenkleie liefern 43 g Ballaststoffe und damit bereits mehr als die empfohlenen 30g Ballaststoffe täglich. Weitere Ballaststoffbomben und damit „gute Kohlenhydratquellen“ sind Hafer, Dinkel, Buchweizen, Kidneybohnen, weiße und schwarze Bohnen, Chiasamen, Leinsamen, Kürbiskerne, Flohsamenschalen, Kakaopulver, Bananen und Feigen.
Um eines vorwegzunehmen: Kohlenhydrate sind für den Körper nicht essentiell. Auf Kosten von Fett- und Muskelvorräten kann der Körper jederzeit selbst Glucose herstellen, er ist also nicht auf eine externe Zufuhr über die Nahrung angewiesen. Der tägliche Glucosebedarf eines erwachsenen Menschen beträgt im Ruhezustand ungefähr 200 g und kann gänzlich durch die Eigenproduktion gedeckt werden. Von diesen 200 g Zucker werden 75 % vom Gehirn und ein Großteil des Restes von Erythrozyten (rote Blutkörperchen) genutzt; für weitere Aktivitäten wie Muskelarbeit bleibt nicht mehr allzu viel Energie übrig. Doch der Körper gewinnt die Energie nicht nur aus Kohlenhydraten. Proteine können mittels sogenannter Gluconeogenese, und Fette mittels sogenannter Ketogenese abgebaut und zu Zucker umgewandelt werden. Doch dazu später mehr. Die Begriffe high-carb und low-carb vermitteln auf den ersten Blick den Konsum von sehr vielen oder sehr wenigen Kohlenhydraten, ohne die Anpassung der Fett- und Proteinzufuhr anzuwenden. Dass gerade diese Anpassung wichtig ist – egal ob ein Kaloriendefizit angestrebt wird oder nicht – beschreiben zahlreiche Studien der letzten Jahre.
Ausgehend von einer „ausgewogenen“ Ernährung mit 50% Kohlenhydraten, 35% Fett und 15% Protein sollte eine high-carb Diät je nach Literaturquelle einen Kohlenhydratanteil von 70-80%, eine low-carb Diät einen Anteil von unter 20% Kohlenhydrate beinhalten. Die restlichen Prozentanteile des Tagesbedarfs werden an Fette und Proteine vergeben – somit ist high-carb fett- und proteinärmer, low-carb fett- und proteinreicher. Doch was verspricht man sich von diesen gegensätzlichen Ernährungsweisen? Was passiert bei kohlenhydratreicher Ernährung, und wie reagiert der Körper auf eine kohlenhydratarme Diät?
In einer Studie des Jahres 2016 untersuchten Hall et al. an übergewichtigen Männern, ob diese schneller an Gewicht und Fettmasse verlieren, wenn sie kohlenhydratärmer essen. Die Gesamtkalorienzufuhr wurde nicht reduziert, das Kaloriendefizit wurde nur sehr gering bemessen. In den ersten 4 Wochen erhielten sie eine ausgewogene Basisdiät (2400 kcal/Tag, 48% Kohlenhydrate, 35% Fett, 17% Protein), gefolgt von einer 4-wöchigen low-carb Diät (2400 kcal/Tag, 6% Kohlenhydrate, 77% Fett, 17% Protein). Die Männer verloren während der ersten Phase 0,8 kg an Körpergewicht, davon 0,5 kg an Körperfett. In der anschließenden low-carb Phase verloren sie zwar beeindruckende 2,2 kg Körpergewicht, davon allerdings auch nur 0,5 kg an Körperfett. Die stärkere Gewichtsabnahme in dieser Studie wurde vor allem auf den Verlust von Körperwasser und Muskelmasse zurückgeführt. Die Annahme, eine low-carb-Diät ließe Fettpölsterchen schneller schmelzen, ist folglich falsch, oder?
Die Benefits einer kohlenhydratreduzierten Ernährung festzustellen ist schwierig, denn jede „low-carb“ Diät geht mit einer gleichzeitigen Erhöhung der Fett- und/oder Proteinzufuhr einher. Von einer Low-Carb-Diät mit 77% Fettanteil und 17% Proteinanteil ist es nicht verwunderlich, dass an Muskelmasse verloren wurde. Bei ausreichender Fettzufuhr greift der Körper nicht primär auf seine Fettspeicher, sondern seine Proteinvorräte zurück – die 17% Protein auf dem Teller konnten dem Muskelabbau offensichtlich nicht ausreichend entgegenwirken. Außerdem wurde durch den Mangel an Kohlenhydraten die Insulinausschüttung nicht angeregt. Insulin wirkt anabol (aufbauend), unterstützt die Verwertung der aufgenommenen Proteine und wirkt so dem Muskelabbau entgegen. Durch die anabole Wirkung speichert es allerdings auch überschüssige Kalorien, die über den täglichen Bedarf hinausgehen, als Fett im Fettgewebe. Insulin ist also Freund und Feind zugleich. Überdies erwähnenswert ist die Feststellung im Rahmen der oben genannten Studie, dass die Menge an Ghrelin – dem appetitstimulierendem Hormon – während der low-carb Phase erhöht war. Eine low-carb Diät mit zu geringem Protein- und zu hohem Fettanteil ist also appetitfördernd, muskulaturabbauend und nicht unbedingt fettverbrennend.
Ebenso schwierig zu beurteilen sind die oft hochgepriesenen Erfolge einer high-carb-low-fat Diät: senken die erhöhten Kohlenhydrate oder die reduzierten Fette den Körperfettgehalt? Oder die Kombination aus beiden? Ein gesunder Körperfettanteil sollte unter 30%, besser unter 25% liegen. Bei Werten darüber ist eine Fettleber und damit ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes, Leberentzündungen, Leberkrebs, Bluthochdruck, Herz- und Gefäßkrankheiten sehr wahrscheinlich. Knapp ein Viertel aller Erwachsenen und jedes dritte übergewichtige Kind hierzulande haben bereits eine Leberverfettung – und die Zahl nimmt stetig zu. Fakt ist: weder high-carb-low-fat, noch low-carb-high-fat wirken sich negativ auf den Körperfettgehalt aus. Negativ wäre nur ein Kalorienüberschuss, vor allem durch high-carb-high-fat. Worüber sich Wissenschaftler und Ärzte einig sind ist, dass bereits geringste Gewichtsreduktionen – egal ob durch low-carb oder high-carb, positiv sind. Bereits 2-6 Tage Kaloriendefizit (-1000 kcal/Tag), senkten den Leberfettgehalt um 30-45%.
Ergebnisse einer Studie der Cambridge University zeigen, dass jede proteinreiche Ernährung Übergewicht reduzieren kann. Der Mechanismus dahinter heißt: Ketogenese. Wenn die externe Zufuhr oder die körpereigenen Speicher an Kohlenhydraten zu gering sind – wie es bei low-carb-Ernährung der Fall ist -, greift der Körper auf eine andere Energiequelle zurück: Ketonkörper. Der Stoffwechselweg, in welchem Ketonkörper gebildet werden, nennt sich Ketogenese und findet in der Leber statt. Dort gespeicherte Fettsäuren werden in Ketonkörper umgewandelt, die vor allem vom Gehirn anstelle von Glucose verstoffwechselt werden können. Das Opfer der Ketogenese ist also: unser Fett. Um auch aus Muskelvorräten Zucker und Energie zu gewinnen, wird unter Kohlenhydratmangel ein weiterer Stoffwechselweg aktiv: die sogenannte Gluconeogenese. Körpereigene Aminosäuren werden hier zu schnell verwertbarer Glucose umgewandelt. Um diesem Muskelabbau entgegenzuwirken ist eine ausgeglichene Zufuhr an Kohlenhydraten und Proteinen also essentiell, sodass der Körper nicht auf die Muskelvorräte zurückgreifen muss. Gute Kohlenhydratquellen wie Kürbis, Kartoffeln, Vollkorngetreide und Süßkartoffel sind hier das „länger brennende Holz“.
Dariush Mozaffarian von der Tufts-Universität in Boston rät: Nicht einen einzelnen Nährstoff verbannen, sondern Lebensmittel als Ganzes und deren Zusammensetzung bewerten. Kohlenhydrate sind zwar nicht essentiell für den Körper, aber auf sie zu verzichten und stattdessen zu viel Fett oder Unmengen an Proteinen zu essen, ist auch nicht zielführend.
Text-Quellen:
(1) Igawa H, Takamura T. High-carb or low-carb, that is a question. Diabetol Int. 2016;8(1):1–3. Published 2016 Nov 11. doi:10.1007/s13340-016-0296-5
(2) Yki-Järvinen H. Nutritional Modulation of Non-Alcoholic Fatty Liver Disease and Insulin Resistance. Nutrients. 2015;7(11):9127–9138. Published 2015 Nov 5. doi:10.3390/nu7115454
(3) Chaumontet, C., Even, P., Schwarz, J., Simonin-Foucault, A., Piedcoq, J., Fromentin, G., . . . Tomé, D. (2015). High dietary protein decreases fat deposition induced by high-fat and high-sucrose diet in rats. British Journal of Nutrition,114(8), 1132-1142. doi:10.1017/S000711451500238X
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(5) https://fet-ev.eu/kohlenhydrate-modifizierte-zufuhr/