Wir essen für unser Leben gern – doch was passiert mit all dem, was wir hinunterschlucken? Wie schöpft unser Körper aus all dem Gegessenen Energie? Unser Verdauungssystem ist hochkomplex und umfasst alle Organe, die dazu dienen, unsere Nahrung aufzunehmen, zu zerkleinern, weiterzuleiten und in verwertbare Nährstoffe umzuwandeln. Die Organe unseres Verdauungssystems haben grundsätzlich zwei Hauptfunktionen: den Transport und die Aufbereitung aller zugeführten Lebensmittel, indem hormon- und enzymreiche Sekrete in diese Transportorgane abgegeben werden. Alle Verdauungsdrüsen zusammen – die Speicheldrüsen, Magendrüsen, Darmdrüsen, Pankreasdrüsen und die Leber – helfen bei der Aufschlüsselung der Nahrung und produzieren gemeinsam etwa 8 Liter Verdauungssekrete pro Tag, 1,5 Liter davon sind Speichel. Ist das nicht verrückt?
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Grob gesehen kann das Verdauungssystem als ein vom Kopf bis zum Po ziehendes, 9 Meter langes Rohr gesehen werden. Die Nahrung wird über den Mund aufgenommen und dort durch die Zähne und teilweise auch durch die Zunge mechanisch zerkleinert. Zudem wird der Nahrung im Mund Speichel hinzugefügt, der zum einen den Schluckvorgang erleichtert und zum anderen ein spezielles Enzym (Amylase) zur Spaltung von Kohlenhydraten (Stärke) hinzufügt. Dieses spaltet komplexe Kohlenhydrate in kleinere, süß schmeckende Zuckerbausteine. Deshalb schmeckt Brot umso süßer, je länger man es kaut. Der Speichel enthält außerdem Antikörper zur Immunabwehr.
Der Speisebrei gelangt vom Mund über den Rachen in die muskulöse Speiseröhre und durch peristaltische (vorwärts gerichtete) Bewegungen weiter zum Magen, wo die Aufbereitung der Nahrungsbestandteile beginnt. Im Magen findet jedoch noch nicht die Verdauung im eigentlichen Sinne statt, sondern eher eine mechanische Vorbereitung. Alle Nahrungsbestandteile werden durch die Magenbewegungen miteinander vermischt und zerkleinert – durch die saure Magensäure werden die meisten Mikroben abgetötet und Proteine denaturiert, sodass sie leichter von Enzymen verwertet werden können. Viele Enzyme arbeiten pH-Wert abhängig, sodass bestimmte Nahrungsbestandteile nur in bestimmten Milieus verdaut werden können.
Kohlenhydrate verlassen den Magen am schnellsten wieder, da sie im sauren Milieu der Magensäure nicht weiter durch die Amylase aufgespalten werden können. Sobald die Kohlenhydrate das saure Magenmilieu verlassen und das weniger saure Darmmilieu erreichen, fangen die Enzyme wieder an, die Kohlenhydrate in ihre kleinsten Bestandteile aufzuspalten. Proteinreiche Lebensmittel wie z.B. Fleisch, verbleiben länger im Magen, da sie vom mageneigenen Enzym Pepsin zerlegt werden. Am langsamsten werden Fette vorverdaut, daher der Spruch „das fettige Essen liegt mir schwer im Magen“. Innerhalb weniger Stunden hat der Magen seinen Inhalt in einen weichen Speisebrei umgewandelt, der weiter in den Dünndarm entleert werden kann, wo die eigentliche Verdauung und Aufnahme von Nährstoffen stattfindet.
Mithilfe unterschiedlichster Verdauungsenzyme werden alle Bestandteile so klein zerlegt, dass sie von der Darmschleimhaut aufgenommen werden können. Proteasen bauen Proteine ab, Amylasen und Dissachharidasen Kohlenhydrate und Lipasen Fette. Die Endstrecke bildet der Dickdarm, wo der Speisebrei durch Wasserentzug eingedickt, unverdauliche Nahrungsbestandteile (Ballaststoffe) zwischengelagert und kontrolliert ausgeschieden werden.
Der gesamte Verdauungskanal besitzt in der Wand ein eigenes, weitgehend autonomes Nervensystem. Das sogenannte enterische Nervensystem (ENS) ist das „Gehirn des Darms“ mit ca. 100 Millionen Neuronen, die sich von der Speiseröhre bis zum After erstrecken. Somit befinden sich im Darm genauso viele Nervenzellen wie im Rückenmark. Das ENS koordiniert die Darmbewegungen, die Ausschüttung von Verdauungsenzymen– und säften sowie die Wiederaufnahme von Wasser und Mineralstoffen. Eine wichtige Rolle bei der Steuerung der Darmbewegungen spielen viele sogenannte Transmitter, auch Botenstoffe genannt. Dazu zählen unter anderem Acetylcholin (Erhöhung der Verdauungssekretproduktion in Ruhe), Noradrenalin (vermindert Darmbewegungen bei Stress), Serotonin (steigert Darmbewegungen). Über die Ausschüttung dieser Neurotransmitter steuert und beeinflusst das Gehirn unseren Darm, auch Stress und Belastungen werden auf diesem Wege auf den Verdauungstrakt übertragen. Bauchkrämpfe, Durchfall oder im Extremfall Übelkeit und Erbrechen können so ausgelöst werden.
Schon lange sind Darmbakterien als Verdauungshelfer bekannt, in den letzten Jahren jedoch zunehmender Mittelpunkt und beherrschendes Thema in der Forschung. Das Gleich– oder Ungleichgewicht dieses mikrobiellen Ökosystems soll verantwortlich sein für Autoimmunerkrankungen, den Fettstoffwechsel oder chronische Entzündungen. Milliarden von Mikroorganismen besiedeln das Innere unseres Darms, und produzieren sogar Enzyme, die eigentlich unverwertbare Nahrungsbestandteile wie Ballaststoffe in Komponenten zerlegen können, die der Körper aufnehmen und verwerten kann. Ein einziges Gramm Darminhalt beherbergt mehr Lebewesen als die Erde Menschen – größtenteils Bakterien, aber auch Viren und Pilze. Eine intakte Darmflora ist außerdem sowohl für die Funktion der Darmbarriere, als auch für die Eindämmung von Krankheitserregern wichtig.
Was oft unterschätzt wird, ist, dass unser Verdauungssystem stark von Organen beeinflusst wird, die auf den ersten Blick nicht viel mit Verdauung zu tun haben. Die Schilddrüsenhormone beispielsweise, aber auch die meisten Geschlechtshormone nehmen einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf unsere Verdauung. Da die Schilddrüsenhormone eine Aktivierung des Stoffwechsels bewirken, kommt es bei einer Schilddrüsenüberfunktion (zu viel Schilddrüsenhormon) zu einer Beschleunigung aller Stoffwechselvorgänge im Körper, einem erhöhten Grundumsatz, Heißhunger, ggf. Gewichtsabnahme, Herzrasen, innerer Unruhe oder Durchfall.
Bei einem Mangel an Schilddrüsenhormonen (Schilddrüsenunterfunktion) hingegen wird die Stoffwechselaktivität gedrosselt – es kommt zu Gewichtszunahme, Verstopfung, Müdigkeit, Haarausfall, Zyklusstörungen und Konzentrationsschwäche. Erstaunlich ist, dass neben dem Diabetes mellitus (Diabetes Typ 1, Diabetes Typ 2) die Schilddrüsenunterfunktion die häufigste hormonelle Erkrankung bei Erwachsenen ist. Jeder Zehnte ist von einer Unterfunktion der Schilddrüse betroffen, Frauen im Verhältnis 4:1 deutlich häufiger als Männer.
Wie man sieht, ist das Verdauungssystem zu komplex, um es mit einem Artikel abzuhandeln. Deshalb könnt ihr euch auf die kommende Serie an Artikeln rund um die Verdauung freuen!
Bild-Quellen:
(1) https://www.freepik.com/free-vector/metabolic-process-woman-diet_9176019.htm#page=1&query=digestion&position=2