Seit Jahrzehnten gilt die Meinung: tierische Fette sind tierisch schlecht. Je weniger wir davon essen, desto besser – aber ist das die richtige Einstellung? Fette im Allgemeinen dienen nicht nur der Isolierung und Energiespeicherung unseres Körpers, sondern auch der besseren Aufnahme wichtiger Vitamine, der Zellsignalisierung, der Immunfunktion und vielen anderen bedeutsamen Prozessen. Viele denken, der Hauptunterschied zwischen pflanzlichen und tierischen Fetten sei der Gehalt an „bösen“ gesättigten Fettsäuren und Cholesterin. Doch auch gesättigte Fettsäuren und Cholesterin haben ihre Rolle in unseren Körperfunktionen und sollten nicht von Grund auf verteufelt werden.
Beginnen wir mit einer kurzen Wiederholung zu den Fetten im Allgemeinen: Fette kommen im Körper hauptsächlich als freie Fettsäuren oder als Fettsäuren in Verbindung mit Glycerin (Triglyceride) oder in Cholesterin vor. Mehr dazu findest du in unserem letzten Artikel zu Nahrungsfetten. Triglyceride sind die Speicherform von Fettsäuren, Cholesterine erfüllen zahlreiche wichtige Aufgaben im Zellaufbau, der Vitamin- und Hormonproduktion und Zellsignalen. Alle gesättigten Fettsäuren kann der Körper selbst herstellen, unter den ungesättigten Fettsäuren unterscheidet man nicht-essentielle von essentiellen Fettsäuren: die nicht-essentiellen ungesättigten Fettsäuren können vom Organismus selbst hergestellt werden, der Bedarf an essentiellen ungesättigten Fettsäuren muss hingegen über die Nahrung gedeckt werden (Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren).
Die bekannteren Omega-3-Fettsäuren sind hauptsächlich in Fisch, Leinöl oder Walnüssen enthalten. Die Omega-6-Fettsäuren (Linolsäure) sind in den meisten pflanzlichen Ölen, wie Sonnenblumenöl oder Maiskeimöl, sowie in Fleisch, Milchprodukten oder Mandeln enthalten. Die in der Nahrung vorkommenden Fettsäuren werden in den Zellen mithilfe der sogenannten Beta-Oxidation abgebaut oder je nach Bedarf ineinander umgewandelt. Hat der Körper genügend Energie zur Verfügung, werden die Fettsäuren in Form von Triglyceriden im Fettgewebe gespeichert.
Woraus bestehen Margarine, Öle und Co. Eigentlich? Alle pflanzlichen und tierischen Fettquellen enthalten auf natürliche Weise eine individuelle Mischung aus verschiedenen gesättigten und ungesättigten Fettsäuren. Je mehr ungesättigte Fettsäuren, desto flüssiger das Öl. Nicht immer enthalten tierische Lebensmittel mehr an „ungesünderen“ gesättigten Fettsäuren. Einige pflanzliche Lebensmittel liefern sogar mehr gesättigte Fettsäuren als tierische (Kokosnussöl), wie wir in unserem vorherigen Artikel bereits erwähnt haben. Schweinefleisch zum Beispiel enthält wie Olivenöl die einfach ungesättigte Fettsäure (MUFA) namens Ölsäure. Im Gegensatz zu pflanzlichen Fetten und Ölen enthält Fleisch jedoch viel Cholesterin und keine sekundären Pflanzenstoffe, die die positiven Wirkungen der ungesättigten Fettsäuren verstärken und die oft schädlichen Wirkungen der gesättigten Fettsäuren abpuffern können.
Sowohl Omega 3 also auch Omega 6 sind für den Menschen wichtig: Die beiden Fettsäuren steuern nämlich gemeinsam im Körper Abläufe, wie zum Beispiel die Immunabwehr: Omega 6 setzt den Entzündungsprozess in Gang, Omega-3 hilft dabei, die Entzündung zu beenden.
Was oft nicht richtig kommuniziert wird, ist, dass die beiden für den Körper essentiellen ungesättigen Omega-6-Fettsäuren Linolensäure (ALA) und Linolsäure (LA) sowohl in einer Vielzahl von pflanzlichen als auch tierischen Lebensmitteln vorkommen. Es ist ziemlich einfach, beide der wichtigen Fettsäuren unabhängig von individuellen Ernährungspräferenzen aufzunehmen. Einen Haken gibt es jedoch: unser Körper muss aus ALA und LA erst die verwertbaren Endprodukte herstellen: EPA, DHA und ARA. Tierische Produkte enthalten diese Endprodukte bereits, sodass der Körper nichts mehr umzuwandeln und ein leichtes Spiel hat.
In pflanzlichen Fettquellen kommt jedoch kein einziges der drei Endprodukte vor. EPA (Eicosapentaensäure) ist eine Omega-3-Fettsäure, die in erster Linie entzündungshemmende und heilende Funktionen aufweist. ARA (Arachidonsäure) ist eine Omega-6-Fettsäure, die oft für eine „schlechte“ Fettsäure gehalten wird, weil sie Entzündungen fördert und nur in tierischen Lebensmitteln (und Algen) vorkommt. Allerdings ist ARA bei Abwehr- und Entzündungsprozessen nicht wegzudenken und fördert dadurch Heilungsprozesse.
Unsere Gehirne sind extrem fettreich. Etwa zwei Drittel des menschlichen Gehirns bestehen aus Fett, und ganze 20 Prozent dieses Fettes sind eine ganz besondere Omega-3-Fettsäure, die DHA oder Docosahexansäure genannt wird. Neben vielen anderen Funktionen ist DHA an der Bildung von der weißen Substanz, die unsere „Gehirnleitungen“ isoliert, beteiligt und trägt zur Aufrechterhaltung der Blut-Hirn-Schranke bei, die das Gehirn vor unerwünschten äußeren Einflüssen schützt. DHA spielt eine „einzigartige und unentbehrliche Rolle“ bei den „neuronalen Signalen, die für eine höhere Intelligenz unerlässlich sind“, sagt Simon Dyall PhD, Lipidforschungswissenschaftler an der Universität Bournemouth, Grossbritannien. Gerade in der Schwangerschaft besteht ein hoher Bedarf an DHA, da sich ein ganzes Gehirn neu entwickeln muss. Es ist unklar, ob die Folgen eines DHA-Mangels in der Schwangerschaft später vollständig rückgängig gemacht werden können. Niedrigere DHA-Spiegel finden sich bei Menschen mit psychiatrischen Störungen, wie z.B. autistische Störungen und ADHS.
Für diejenigen, die sich vegan ernähren, ist es wichtig zu wissen, dass pflanzliche Lebensmittel kein DHA enthalten. Vegetarier zeigen um 31% niedrigere, Veganer sogar um 59% niedrigere Spiegel als Allesesser. Die essentielle Omega-3-Fettsäure Alpha-Linolensäure (ALA) ist in pflanzlichen Lebensmitteln wie Leinsamen, Walnuss und Chia zwar massig enthalten, die Umwandlung zu DHA scheint für den erwachsenen menschlichen Körper jedoch leider ziemlich schwierig zu sein. Die meisten Studien stellten eine Umwandlungsrate von weniger als 10 Prozent fest, manche sogar 0%. Viele Wissenschaftler haben somit befürwortet, dass DHA anstelle von ALA offiziell als essentielle Omega-3-Fettsäure angesehen werden sollte. Selbst lautstarke Befürworter pflanzlicher Ernährung, wie die Autoren des jüngsten EAT-Lancet-Berichts, erkennen an, dass unklar ist, wie viel ALA man konsumieren muss, um den DHA-Bedarf zu erfüllen.
DHA-reiche (tierische) Quellen sind:
Das sagen Forscher der Harvard T.H. Chan School of Public Health, die Ernährungsdaten von mehr als 90.000 Menschen über einen Zeitraum von durchschnittlich 22 Jahren untersucht haben. Das Risiko für Herzerkrankungen war geringer, wenn ungesundes gesättigtes Fett, raffinierte Kohlenhydrate oder Transfettsäuren durch einfach ungesättigtes Fett aus pflanzlicher Quelle ersetzt wurden, nicht aber durch einfach ungesättigtes Fett auf tierischer Basis. Eine höhere Aufnahme der pflanzlichen Fette war mit einem um 16% geringeren Sterberisiko verbunden. Im Gegensatz dazu war eine höhere Aufnahme von tierischen Fetten mit einem 21% höheren Risiko verbunden, an irgendeiner Ursache zu sterben.
Fast alle verarbeiteten Lebensmittel, abgepackte Snacks und Fertiggerichte werden mit raffinierten Pflanzenölen wie Soja- oder Sonnenblumenöl hergestellt. Die meisten Pflanzenöle heutzutage enthalten leider unnatürlich viel an LA (Linolsäure), was nachweislich die Produktion und Wirksamkeit von DHA im Körper verringert. Überschüssige Linolsäure (sowohl aus pflanzlichen als auch aus tierischen Quellen) kann Entzündungen triggern und die Heilung verlangsamen. Die besten, linolsäurearmen Pflanzenöle seien Olivenöl, Avocadoöl, Rapsöl und Palmkernöl. Doch Vorsicht, ein Mangel an Gamma-Linolensäure im Zusammenspiel mit bestimmten Enzymdefekten sehen Forscher des Efamol Research Instituts in Kanada als die Ursache für eine Reihe von Krankheiten, wie zum Beispiel:
Zudem stellt eine Studie aus Japan den Zusammenhang von einem Mangel an Gamma-Liniolsäure und dem Prämenstruellen Syndrom (PMS) her.
Über die Ernährung kann für eine gesunde Mischung an Fettsäuren gesorgt werden. So erachten Ernährungswissenschaftler der Budwig-Stiftung ein Verhältnis von Omega 6 zu Omega 3 Fettsäuren von 2:1 bis 5:1 für ausgewogenen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche zu essen. Auch Vegetarier müssen aufpassen: über pflanzliche Öle wie Sonnenblumenöl kann schnell zu viel an Omega-6-Fettsäuren aufgenommen werden. Zum Ausgleich sollte Fisch mit dem gesunden Omega 3 regelmäßig auf dem Speiseplan stehen. Wer auf Fisch verzichten möchte, kann auf Leinöl, Leinsamen, Sesam, Walnüsse oder Pinienkerne zurückgreifen.
Text-Quellen:
(1) Horrobin DF. Fatty acid metabolism in health and disease: the role of delta-6-desaturase. Am J Clin Nutr. 1993;57(5 Suppl):732S-737S. doi:10.1093/ajcn/57.5.732S
(2) Koshikawa, T. Tatsunuma, K. Furuya, K. Seki, Prostaglandins and premenstrual syndrome, Prostaglandins, Leukotrienes and Essential Fatty Acids,Volume 45, Issue 1, 1992, Pages 33-36, ISSN 0952-3278, https://doi.org/10.1016/0952-3278(92)90099-5. (http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0952327892900995)
(3) https://www.budwig-stiftung.de/service/omega-3omega-6.html
(4) https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/
(5) https://next.amboss.com/de/article/B60zMS#Z392a1b5ce103b66cd7a1630143668848
(6) https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2013/daz-31-2013/welches-fett-ist-erste-sahne
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