Hunger und Sättigung sind die zentralen Regler, die unsere Nahrungsaufnahme und letztendlich unser Körpergewicht steuern. Die Regulation von Hunger und Sättigung ist äußerst komplex und basiert auf dem Zusammenspiel von physiologischen und psychologischen Mechanismen. Nachdem wirklicher Hunger – der sich durch einen echten, andauernden Mangel an Nahrung auszeichnet – in unserer Überflussgesellschaft eher selten geworden ist, ist es vielmehr der erwartete Genuss, der uns heutzutage zum Essen verführt. Im Überfluss des Angebots essen die meisten Menschen anders, als sie sich ernähren sollten.
Das Essverhalten unserer heutigen Gesellschaft wird von Geburt geprägt. Genauso wie bei Tieren existieren auch beim Menschen physiologische, metabolische und zentrale Regulationsmechanismen, die Hunger– und Sättigungszustände verursachen und so Appetit und Nahrungsaufnahme regulieren. Durch striktes Befolgen der Hunger- und Sättigungsgefühle ist ein Erwachsener normalerweise in der Lage, sein Körpergewicht über Jahrzehnte hinweg konstant zu halten. Dies ist eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass sich schon ein kleiner Kalorienüberschuss täglich – zum Beispiel ein kleines Glas Bier oder 20 Gramm Erdnüsse (das entspricht einem Energiegehalt von etwa 100 kcal) – über ein Jahr hinweg auf über vier Kilogramm Gewichtszunahme summieren kann. So ein kleiner Kalorienüberschuss kommt schnell zustande, vor allem wenn man ohne Hunger isst. Fatalerweise scheint sich der menschliche Körper an das einmal erhöhte Körpergewicht anzupassen und seine Reserven in Hungerphasen mit allen Mitteln zu verteidigen, was – vor allem kurzzeitige – Abmagerungsversuche in den meisten Fällen sehr schwierig macht.
An der Steuerung und Verarbeitung der Hunger– und Sättigungssignale sind mehrere Hirnareale beteiligt, v. a. der Hypothalamus, ein Teil des Zwischenhirns; er ist ein lebenswichtiges Areal, das zum Beispiel die Körpertemperatur und den Wasserhaushalt regelt. Hunger entsteht also im Gehirn, nicht im Magen. Der Hypothalamus sorgt durch die Entstehung von Hungergefühlen für den Antrieb zur Nahrungsaufnahme und setzt den Hungerstoffwechsel in Gang. Leider sind evolutionsbiologisch die Mechanismen, die uns vor dem Verhungern schützen, viel besser ausgebildet als jene, die uns vor dem Dickwerden schützen. Um das Körpergewicht regulieren zu können, muss das Gehirn einerseits den Energiezustand des Körpers messen – insbesondere die Menge der gespeicherten Energie – und andererseits Hunger und Sattheit regulieren und anpassen. Dabei kommt dem Hypothalamus eine dominierende Rolle zu: er fungiert als „Interface“ zur Peripherie.
Offensichtlich gibt es im Hypothalamus verschiedene anatomische Regionen, denen unterschiedliche Funktionen des Hunger– oder Sättigungsmechanismus zugeordnet werden können. Bereits vor über 50 Jahren wurde an Ratten gezeigt, dass die Zerstörung und folglich ein Ausfall verschiedener Regionen des Hypothalamus genau entgegengesetzte Auswirkungen auf die Nahrungsaufnahme haben. Die Zerstörung des Sättigungszentrums führt zu Fressattacken und resultierendem Übergewicht, während die Zerstörung des Hungerzentrums Nahrungsverweigerung bis hin zum Verhungern verursachen kann.
Wie kommt es nun also zum Hungergefühl? Der Hypothalamus misst laufend den Zuckerspiegel im Blut. Ein Anstieg des Blutzuckerspiegels hemmt die Aktivität im „Hungerzentrum“ und führt dadurch zu verstärkter Aktivität im Sättigungszentrum. Umgekehrt ist der abfallende Blutzuckerspiegel der wichtigste Auslöser des Hungergefühls. Was aber ist der Detektor? Auf zellulärer Ebene hat man im Hypothalamus Zuckersensoren entdeckt, die auch in der Leber gefunden wurden und eng miteinander vernetzt sind. Ihre Anwesenheit in der Leber ist physiologisch gesehen äußerst sinnvoll, da sie die mit der Nahrungsaufnahme im Zusammenhang stehenden Blutzuckerschwankungen am schnellsten registrieren können.
In den letzten Jahren wurde eine Fülle von Signalstoffen identifiziert, die einen Einfluss auf die Nahrungsaufnahme, beziehungsweise Hunger und Sättigung haben. Jüngstes Beispiel ist Ghrelin, ein Peptid, das im Magen produziert wird und auch als das Hungerhormon bezeichnet wird. Wird Ghrelin in die Blutbahn oder in das Hirn von Mäusen und Ratten injiziert, stimuliert es die Nahrungsaufnahme und führt zu einer deutlichen Gewichtszunahme, da es den Hunger fördert. Die Ghrelinspiegel sinken meist 20 – 30 Minuten nach dem Essen wieder ab, weshalb die Sättigung nach dem Essen verzögert eintritt. Bei häufigen Diäten, so vermuten Forscher, führt das andauernde Hungern zu permanent hohen Ghrelin-Spiegeln, weshalb Diäten häufig abgebrochen werden. Die geringe Kalorienzufuhr verstärkt das andauernde Hungergefühl zusätzlich.
Sein Gegenspieler – Leptin – ist ein Hormon aus dem Fettgewebe und eine Art „Energiemesser“. Es meldet dem Hypothalamus die Füllung der Fettdepots im Körper. Je mehr Fettgewebe, desto höher die Leptinausschüttung. Forscher leiten daraus die Erklärung ab, dass Menschen mit einem sehr geringen Körperfettanteil permanent Hunger verspüren, da die Leptinspiegel dauerhaft niedrig sind. Bei Normalgewichtigen ist die Menge an Leptin im Blut meist nur vor der unmittelbaren Nahrungsaufnahme niedrig und steigt während der Mahlzeit an. Daher wird Leptin oft als Sättigungshormon bezeichnet. Mittlerweile ist auch bekannt, dass bei vielen Übergewichtigen und Adipösen eine sogenannte Leptinresistenz vorliegt, da bei ihnen die Konzentration an Leptin dauerhaft erhöht ist, das Sättigungssignal aus dem Gehirn allerdings trotz der Nahrungsaufnahme ausbleibt.
Viele Menschen haben schlicht verlernt, auf ihren echten biologischen Hunger zu hören. Nur das essen, was der Körper braucht, und aufhören, wenn der Bedarf gedeckt ist. Wer das Gefühl nicht mehr kennt, muss im Grunde nur eines tun: warten und den „echten“ Hunger ausreizen. Der Körper hat über Jahre hinweg abgespeichert und gelernt, welches Essen ihm welche Nährstoffe liefert und was ihm guttut. Wenn man den Hunger genau mit dem Essen befriedigt, worauf man wirklich Lust hat, dann fühlt man sich satt und gut. Kurzfristige Diäten mit einer reduzierten Energiezufuhr führen zu nichts als einem verstärkten Hungergefühl. Nachhaltiger ist eine langsame Umstellung der Ernährung, mit dem Ziel eines langfristigen, geringen Kaloriendefizits. So wird der Stoffwechsel nicht in einen Hungerstoffwechsel umgeschalten und der Hormonhaushalt nicht durcheinandergebracht.
Text-Quellen:
(1) Taschenatlas Ernährung (Biesalski HK, Grimm P, Nowitzki-Grimm S; Thieme Verlag 2015)
(2) Ernährungsumschau: Hunger und Sättigung (Langhans, W; Ernährungsumschau 2010)
(3) PODINGBAUER A, EKMEKCIOGLU C: Regulation der Nahrungsaufnahme: Physiologische Mechanismen und klinische Relevanz, Journal für Ernährungsmedizin 2005; 7 (1) (Ausgabe für Österreich), 22-29
Bild-Quellen: