Dass es zwischen der Psyche und unserer Ernährung viele Wechselwirkungen gibt, kennt wahrscheinlich Jede und Jeder aus eigener Erfahrung: Hat man viel Stress auf der Arbeit oder mit der Familie, neigt man häufig dazu, sich in Form von meist ungesunden Snacks, Fast Food oder Süßigkeiten für den anstrengenden Tag zu belohnen.
Welche Verbindungen stehen auf körperlicher und psychischer Ebene hinter diesen Verhaltensmustern? Beeinflusst die Psyche unser Essverhalten oder ist es anders herum und wirkt sich unser Essen auf das Befinden aus? Im Folgenden Artikel werden die zu dieser Thematik aus Studien gewonnenen Erkenntnisse genauer beleuchtet.
Unsere Facts-to-go kurz und knapp für dich zusammengefasst!
Während es zur Entwicklung von Essstörungen wie Magersucht (Anorexia nervosa) und Bulimie in Deutschland keine statistischen Erhebungen gibt, fällt die stark steigende Anzahl adipöser Menschen in Deutschland auf: Laut Erhebung des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2017 62,1 % der männlichen Erwachsenen in Deutschland übergewichtig, hatten also einen BMI über 25 und sogar 18,1 % von ihnen waren adipös ( BMI > 30).
Innerhalb der letzten 20 Jahre ist damit die Zahl übergewichtiger Personen in Deutschland um knapp 8 % gestiegen. Zu den wichtigsten Gründen für diese Entwicklung zählt neben dem Bewegungsmangel auch eine unausgewogene Ernährung. Obwohl es mittlerweile überall, in den sozialen Netzwerken, in Form von Ratgebern, Zeitschriften oder Podcasts, für jeden zugängliche Informationen über gesunde Ernährung gibt. Auch wenn es aktuell also keine Hürde mehr darstellt, sich mit dem Wissen über eine ausgewogene Ernährung zu befassen, scheitert es bei einem Großteil der Bevölkerung an der Umsetzung.
Auch die Corona-Pandemie hat diesen negativen Trend weiter angetrieben: 40 % der Teilnehmer:innen einer Umfrage der TU München gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa gaben an, seit Beginn der Pandemie an Gewicht zugenommen zu haben. Im Schnitt sind dies rund 5,6 kg. Zudem bewegte sich laut der Befragung jede:r Zweite weniger als noch vor Corona. Auffällig sei zudem, dass vor allem Personen, die schon vor der Pandemie einen erhöhten BMI hatten, weiter zugenommen haben. Der Leiter des Else Kröner Fresenius Zentrums für Ernährungsmedizin (EKFZ) Hauner fasst es so zusammen: „Corona befeuere damit die Adipositas-Pandemie“.
Neben dem Wegfall von Bewegungsmöglichkeiten durch zeitweise geschlossene Fitness-Studios und Schwimmbäder ist vor allem der Stress, den die Bürger in Deutschland verstärkt während der Pandemie spürten, ein wichtiger Treiber des negativen Essverhaltens. Eine Statistik der SwissLife zeigt: 80 % der Deutschen leiden unter Stress, bei Beschäftigten im Gesundheitssektor sind es sogar 91 % und bei fast jedem Dritten hat sich der Stress seit Corona vermehrt. Diese Entwicklung leuchtet ein, denn ein Wegfall von Freizeitangeboten, sozialen Kontakten und ein gleichzeitig erhöhtes Arbeitspensum, vor allem im Gesundheitsbereich, trägt sicherlich nicht zur Entspannung bei. Zudem kommen in vielen Fällen noch Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung hinzu, wenn Kindergärten schließen und Schulunterricht online durchgeführt werden soll.
Interessant ist es, den Faktor Stress auf physiologischer und biochemischer Ebene genauer zu betrachten:
Stress ist ein überlebenswichtiges Programm im Körper, um auf akute Gefahren adäquat reagieren zu können: Über eine Aktivierung des Sympathikus, also dem vegetativen Nervensystem wird der Körper auf „Fight or Flight“ eingestellt: Kampf oder Flucht. In der Steinzeit waren diese Reaktionen überlebenswichtig, allerdings hat der Stress, den Menschen heute verspüren, in der Regel andere Auslöser als die Bedrohung durch wilde Tiere. Die körperliche Reaktion auf unsere heutigen Belastungen, die häufig auch chronisch andauern, sind jedoch noch immer auf kurze Kampf– oder Fluchtszenen ausgelegt.
Stress führt zu einer Vielzahl an körperlichen Reaktionen, wobei hier nur auf einen Teil, und zwar die Auswirkungen des erhöhten Cortisolspiegels eingegangen werden kann. In der Nebennierenrinde wird bei Stress vermehrt Cortisol produziert und ins Blut abgegeben. Dieses „Stress-Hormon“ führt zur Mobilisation von Energiespeichern, also einem erhöhten Blutzuckerspiegel und einer verstärkten Neubildung von Glucose (Zucker) im Körper, was zu einem Abbau des Proteinspeichers und damit der Muskelmasse führt. Langfristig kann dies zur Entstehung von Diabetes mellitus führen.
Es kommt zu einer Verstärkung des Hungergefühls, zu einer Downregulation des Immunsystems, Entzündungshemmung, zu einer Erhöhung des Blutdrucks und langfristig zu einer Abnahme der Knochendichte, die zur Osteoporose führt. Außerdem werden im Gehirn zwei verschiedene Rezeptoren gebunden: Zum einen kann Cortisol die Aufmerksamkeit steigern. Gerade aber bei hohen Cortisolspiegeln können diese das Auftreten von Missstimmung, Depressionen und Lernschwierigkeiten begünstigen.
Unterm Strich sind die Folgen von langfristigem Stress äußerst problematisch und verstärken die ohnehin dramatischen Anstiege von Übergewicht, Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem verschlechtern sich depressive Verstimmungen und es können sich Teufelskreise ausbilden, bei denen durch das andauernde Gestresst-Sein und die damit hohen Cortisolspiegel Heißhungerattacken vor allem auf schnell verfügbare Energie in Form von einfachen Kohlenhydraten wie Weißmehl und Zucker entstehen, die zu Übergewicht führen. Es manifestieren sich Verhaltensmuster, bei denen unausgewogenes Essen als Belohnung für anstrengende Tage etabliert wird und die Betroffenen tiefer in das Übergewicht rutschen.
Welche Schlüsse lassen sich aus dem Wissen über den Zusammenhang zwischen Psyche und Ernährung also konkret ziehen?
Es ist wichtig, sich den Zusammenhang zwischen dem seelischen Befinden und dem Essverhalten bewusst zu machen.
Bevor man zwanghaft versucht, abzunehmen oder gesund zu leben, sollte man sich auch über den Stress bewusst werden, dem man im Alltag ausgesetzt ist und parallel zu einer Ernährungs– und Lebensstiländerung auch über Entspannungstechniken nachdenken, damit der Schritt zu einem gesünderen Leben nicht als weiterer Stressfaktor ins Leben tritt und man frustriert nach einer disziplinierten Phase zurück in alte Verhaltensmuster fällt.
Wenn Ernährung zu zwanghaft angegangen wird und man sämtliche Freude dabei verliert, droht man nicht nur in eine Essstörung zu geraten. Dann wird aus dem eigentlich schönen und entspannenden Essvorgang ein neuer Stressfaktor, der die zuvor beschriebenen Probleme nach sich zieht.
Text-Quellen:
(1) Deutzmann R. Glucocorticoide. In: Rassow J, Hauser K, Deutzmann R, Netzker R, Hrsg. Duale Reihe Biochemie. 4. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2016.
(2) Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin und Technische Universität München: Corona befeuert eine andere Pandemie; 01.06.2021
(3) https://www.swisslife.de/ueber-swiss-life/presse/pressemitteilungen/newsfeed/2020/11-18.html; Stand: 19.09.2021
(4) Anja Schienkiewitz, Gert B. M. Mensink, Ronny Kuhnert, Cornelia Lange:
(5) Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland: Journal of Health Monitoring · 2017 2(2) DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-025, Robert Koch-Institut, Berlin
(6) Statistisches Bundesamt: Entwicklung von Übergewicht und Adipositas unter Männern in Deutschland bis 2017; Veröffentlicht von Rainer Radtke, Stand: 15.06.2021
Bild-Quellen: