In vielen Gesundheitsmagazinen wird häufig suggeriert, bestimmte Lebensmittel zu meiden und sich möglichst kohlenhydratarm zu ernähren. Doch Kohlenhydrate spielen nicht nur für die sportliche Leistungsfähigkeit, sondern auch für die allgemeine Gesundheit und das psychische Wohlbefinden eine wesentliche Rolle. In ausgewählter Menge und Qualität sollten sie in keiner ausgeglichenen Ernährung fehlen. Wir präsentieren Euch heute 6 Gründe, warum ihr Kohlenhydrate in euren Speiseplan integrieren solltet.
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Die Knochen bilden das Gerüst unseres Körpers. Sie schützen unsere lebenswichtigen Organe, regulieren den Kalzium- und Phosphorhaushalt und sind Ort der Blutbildung. Sowohl Kohlenhydrate als auch Fette und Proteine wirken dem Abbau von Kollagenfasern, die Teil des Knochens sind, entgegen und sind für den Erhalt der Knochenmasse unerlässlich. Ein langfristiges Kaloriendefizit zusammen mit einem Mangel an Nährstoffen wie Kalzium, Vitamin D, Eiweiße und Kohlenhydrate ist ein bedeutender Risikofaktor für den Knochenabbau und sollte vermieden werden. Als zugrundeliegender Mechanismus wird diskutiert, dass ein niedriger Blutzuckerspiegel (Glukosekonzentrationen von 2,5 mmol/l für 105 min) sich direkt auf Knochenzellen auswirkt und zu einem kurzfristig erhöhten Knochenabbau führt. Eine stabile Kohlenhydratzufuhr während intensiver Belastungen ist also nicht nur für optimale Leistungsfähigkeit und Funktionalität, sondern höchstwahrscheinlich auch für starke Knochen unverzichtbar. Vor allem unverdauliche Kohlenhydrate (Ballaststoffe) wie Inulin und Oligofructose aus Früchten scheinen die Verfügbarkeit von Mineralstoffen (vor allem Calcium und Phosphat) aus der Nahrung zu erhöhen und somit der Knochenmasse förderlich zu sein.
Die ernährungsmedizinische Bedeutung komplexer Kohlenhydrate, vor allem die der Ballaststoffe, wird bereits seit Jahrzehnten untersucht. Die positiven Wirkungen der Ballaststoffe auf den Darm beruhen nicht nur auf der Steigerung des Stuhlgewichts oder der Verbesserung des Darmmilieus. Ballaststoffe sind wertvolles „Futter“ für gute Darmbakterien, die sogar unser Gewicht nachhaltig beeinflussen können. Die Korrelation zwischen Übergewicht und der individuellen Zusammensetzung der Darmflora wird von einer wachsenden Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen belegt. Besonderes Augenmerk wird auf das – im günstigsten Fall ausgeglichene – Verhältnis von sogenannten Firmicutes zu Bacteroidetes gelegt. Diese beiden übergeordneten Bakteriengruppen dominieren im menschlichen Darm mit über 90%, und es gilt: Je höher der Anteil an Firmicutes, desto höher das Körpergewicht. Diese Bakterien stellen dem Menschen durch den Abbau von eigentlich weitgehend unverdaulichen Nahrungsbestandteilen (Ballaststoffen) weitere Kohlenhydrate und somit zusätzliche Kalorien zur Verfügung. Untersuchungen konnten zeigen, dass ein höherer Anteil an Firmicutes um ca. 10% mehr Energie aus der Nahrung resorbiert, das entspricht 200-250 Kalorien am Tag und einer möglichen Gewichtszunahme von bis zu 10 kg pro Jahr. Im Gegensatz dazu zeigt sich bei normalgewichtigen Personen ein erhöhter Anteil an Bacteroidetes: Bakterien dieser Gruppe sind in der Lage, Zucker, der nicht gebraucht wird, aktiv aus dem Darm auszuscheiden. Dies lässt sich über den Vergleich des Restenergiewertes des Stuhls von Normalgewichtigen und Übergewichtigen klar belegen: Bei schlanken Menschen liegt der Kaloriengehalt des Stuhls deutlich höher als bei Übergewichtigen.
Unsere Muskeln brauchen vor allem folgende Makronährstoffe: Proteine und Kohlenhydrate. Die Proteine sind die Bausteine der Muskeln, die Kohlenhydrate liefern die notwendige Energie für das Wachstum und sind der ‚Sprit‘ für Sportler. Nur wenn den Muskeln ausreichend Eiweiße und Kohlenhydrate zur Verfügung stehen, nehmen sie an Kraft und Volumen zu. Für den Aufbau von einem Kilogramm Muskelmasse ist unter Versuchsbedingungen eine Zufuhr zwischen 4.000 bis 6.000 Kilokalorien nötig. Wer Muskeln aufbauen möchte, sollte somit täglich etwa 300 Kilokalorien mehr essen, als der Körper braucht. So sind die Muskeln ausreichend versorgt, ohne dass sich das Kalorienplus in den Fettdepots einlagert. Vor allem in der ersten halben Stunde nach dem Training sollte die Muskulatur mit Kohlenhydraten und Eiweißen versorgt werden, um Wachstum zu fördern. Die Kohlenhydrate regen die Insulinausschüttung an. Insulin wiederum wirkt anabol, also aufbauend und unterstützt so die Verwertung der aufgenommenen Proteine. Die Kohlenhydrate helfen somit dem Körper, die Proteine in den Muskel einzubauen. Nach dem Training sollten etwa 30 bis 40 Gramm Kohlenhydrate und 15 bis 20 Gramm Proteine verzehrt werden. Fehlen dem Körper die nötigen Kohlenhydrate, bleibt das Muskelwachstum aus. In diesem Zustand betreibt der Körper Kannibalismus und zieht die Energie aus den Fettspeichern oder dem Muskel selbst. Eine Kohlenhydratmenge von 50 bis 100 g/Tag kann diesen „Protein-Kannibalismus“ verhindern.
Zahlreiche Messstationen im Körper messen ständig den Blutzuckerspiegel und passen die Menge der körpereigenen Zuckerproduktion dem Bedarf an. So wird sichergestellt, dass die Versorgung lebenswichtiger Organe – vor allem die des Gehirns und der Blutzellen – aufrecht bleibt. In Hungerphasen kann so selbst ohne Nahrungszufuhr die Funktionalität wichtiger Körpervorgänge aufrechterhalten werden – zumindest für bestimmte Zeit. Das Prinzip der Energieumverteilung läuft allerdings nur so lange reibungslos ab, wie es ausreichend Muskel- und Fettvorräte gibt. Ein dauerhafter Kohlenhydratverzicht, ein Kaloriendefizit und abnehmende Fett- und Proteinvorräte versetzen den Körper in einen Stresszustand, der alle nicht überlebensnotwendigen Vorgänge im Körper abstellt. Er läuft also auf Sparflamme. Ausgehend vom Gehirn wird die Fortpflanzungsfähigkeit, der Knochenaufbau und diverse energieraubende Stoffwechselvorgänge zurückgeschraubt. Dies äußert sich bei Frauen in Östrogenmangelzuständen, einer ausbleibenden Periode, Knochenschwund und Gefäßschäden. Ein Kohlenhydratmangel ist somit mindestens genauso schädlich, wie ein Kohlenhydratüberschuss. Der Schlüssel ist, eine individuelle, balancierte Kohlenhydratmenge für sich zu finden.
Was wir essen, beeinflusst unsere Stimmung. Komplexe Kohlenhydrate scheinen uns mit Stress besser umgehen zu lassen. Wer zudem reichlich Fisch isst, leidet vermutlich seltener an Depressionen. Der niederländische Psychologe Rob Markus von der Universität Maastricht widmet sich seit Ende der neunziger Jahre der Frage, ob eine bestimmte Ernährung bzw. Lebensmittelauswahl uns mit Stress besser umgehen lässt, das heißt stresstoleranter machen kann. Zum einen wird kohlenhydratreiche Nahrung im Körper größtenteils in Glucose umgewandelt, die wiederum die Bauchspeicheldrüse zur Produktion von Insulin anregt. Insulin erhöht den Tryptophanspiegel im Gehirn, also den Gehalt jenes Stoffes, aus dem das Glückshormon Serotonin gebildet wird. Da Serotonin im Gehirn zugleich als Botenstoff für das Übertragen von Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle verantwortlich ist, steigt insgesamt die kognitive Leistung. Die gesteigerte Leistungsfähigkeit und die gehobene Laune bewirken offenbar, dass stresssensible Menschen mit der Stresssituation nach der kohlenhydratreichen und eiweißarmen Kost besser fertig werden. Das schlägt sich letztendlich in dem niedrigeren Cortisol-Gehalt im Speichel nieder.
In Studien mit Freizeit- und Hochleistungssportlern konnte die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Anja Carlsohn von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd beobachten, dass eine eingeschränkte Kohlenhydratzufuhr – dauerhaft oder phasenweise – mit einer reduzierten Leistungsfähigkeit vor allem bei Ausdauersportlern einhergeht. Allerdings geht es – auch im Sport – nicht nur um Quantität, sondern Qualität der Kohlenhydratmenge. So sind Süßigkeiten bekanntermaßen wenig wertvoll für Sport oder Gesundheit. Obst und Gemüse hingegen sind enorm wichtig für die Energie-, Vitamin- und Mineralstoffversorgung. Zudem enthalten sie viele gesundheitsfördernde sekundäre Pflanzenstoffe sowie Ballaststoffe. Lebensmittel, die reich an komplexen Kohlenhydraten sind, wie Müsli, Brot, Reis, Pasta oder Kartoffeln, sollten gerade in der Basisernährung von Sportlern einen großen Stellwert einnehmen. Sie werden langsamer abgebaut und erzeugen nicht so schnell wieder Hunger. „Schnelle“ Kohlenhydrate in Form von Getränken können wiederum während einer längeren sportlichen Belastung jederzeit zugeführt werden und liefern schnelle Energie, bevor die Kraft ausgeht.
Kohlenhydrate nehmen somit einen zentralen Stellenwert und wichtige Funktionen in unseren Körpervorgängen ein. Sie sollten qualitativ und quantitativ bewusst konsumiert werden, ein totaler und dauerhafter Verzicht ist für die Gesundheit jedoch nicht förderlich.
Text-Quellen:
(1) Topolska K, Radzki RP, Filipiak-Florkiewicz A, Bieńko M, Florkiewicz A, Cieślik E. Could fructan sources in strawberry matrix be more effective as a tool for improvement of bone structure than these compounds added to diet alone? – Study on osteopenic rat model. Ann Agric Environ Med. 2020;27(1):19‐ doi:10.26444/aaem/108656
(2) Silveira, Raul & Kopinski, Stephan & Mayer, Frank & Carlsohn, Anja. (2015). Influence of Pre-exercise Carbohydrate Ingestion on Substrate Oxidation Patterns During Running Bouts with Standardized Intensity.
Bild-Quellen:
(3) https://unsplash.com/photos/OpqxSPKp6o8